Fokusse

Fokus Care / Sorge

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© Julia Praschma

Die 2017 verstorbene Schriftstellerin Silvia Bovenschen schreibt in ihrem letzten Roman Lug und Trug und Rat und Streben: »Sagte die gute Tante: Das musst du wissen: Alleine bist du verloren. / Das musst du lernen: Es gibt eine Teilung der Arbeit, der Beschaffung, der Fürsorge. / Die musst du ehren: die, die mit dir sind.«

Kaum ein Thema überdauert die Zeiten vielleicht wie dieses: Fürsorge. Unter dem Stichwort Care umkreist das Center for Literature sie; von der individuellen Pflege über die gesellschaftlichen Dimensionen bis hin zu weltweiten Care-Verhältnissen – also der »Entwicklungshilfe«.

Ein Ansatzpunkt in diesem Fokus ist also die Frage, wie es mit der Daseinsfürsorge in einer Gesellschaftsform aussieht, die Verantwortung zunehmend den Einzelnen zuschiebt. Wer pflegt wen? Die jüngere Generation die ältere? Die starken Mitglieder der Gesellschaft die schwachen? Die Nicht-Behinderten die Behinderten? Die billigen Pflegekräfte die reichen Kranken und Alten? Der globale Norden den globalen Süden? Oder andersrum?

Unterschiedliche Schicksale und Lebenswege kann gerade Literatur scharfsinnig und mit viel Humor nahebringen. Das CfL wird unterschiedliche Positionen zu Care diskutieren und andere, solidarischere Modelle finden.

Zum Beispiel, wenn Gruppen wie das Volxtheater aus Bethel oder dorisdean aus Bochum/Düsseldorf hier arbeiten, die sich, mal explizit, mal implizit damit beschäftigen, was Körper mit und ohne Behinderungen eigentlich unterscheidet.

Zum Beispiel, wenn in einer zwölfstündigen Dauerperformance die Rolle von Frauen in unserer Gesellschaft und damit auch in der Care-Arbeit erkundet wird – in Aufführung, Diskussion und gemeinsamen Plakat-Aktionen.

Zum Beispiel, wenn in einem Festival Künstler*innen und Publikum in der Wundenkammer sitzen und kollektiv schreiben: das Wörterbuch der Fürsorge, den Katalog der Viren oder den Atlas der Abtreibung.

Am Ende offenbart sich im Fokus Care auch das Perfide des Liebens. Denn wer immer jemanden pflegt, der wird an ihn gebunden. Oder, wie Nancy Folbre, die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin, schreibt: »Care workers become, in a sense, prisoners of love.«