Blogging on Heavens Door 39-42

Die Kirche ist quasi Familienbetrieb

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Hier gehts zum ersten Teil des Interviews

Nur zur Wiederholung:
Tabea studiert in Tübingen evangelische Theologie und Germanistik auf Lehramt und ist Stipendiatin des Evangelischen Stifts Tübingen. Sie engagiert sich im kirchlichen Klimaschutz und für die Durchsetzung der Ehe für alle in der evangelischen Kirche.

Wenn ich jetzt fragen würde, glaubst du an eine Gottheit, würdest du also sagen…
Klar, auf jeden Fall
Aber wenn ich frage, glaubst du an Gleichstellung?
Äh…dann würde ich sagen, „ja”, aber ich befürchte, dass wir da leider noch nicht sind. Das sind auf jeden Fall unterschiedliche Arten von Glauben. Der Glauben an Gleichstellung ist ein bisschen weniger abstrakt, es gibt bestimmt aber auch viele Analogien. Ich glaube, dass man bei der Gleichstellung auch konkretere Handlungen hätte, oftmals aber über ähnliche Hürden stolpert und ähnliche Fragen von Menschen gefragt werden wird.
Diese klassischen Fragen, die um das „warum” kreisen – „Warum sollte ich denn daran glauben?” oder „Hä, ich hab das noch nie erlebt”. Wenn man es noch nie brauchte, weil man bisher im Leben auf der privilegierten Seite stand, dann ist es vermutlich weniger „real”.

Und in dem Moment wird es auch zur Glaubenssache natürlich.
Genau, aber für mich ist es auf jeden Fall ein großes Ziel und auch etwas, wonach man sein Leben ausrichten kann. Auch wie bei Diskriminierung ist es etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt.

Ist in der Religion – der Kirche, in der du deinen Glauben lebst – Gleichstellung schon erreicht?
Nein, leider nicht. In der Religion ja, aber in der Kirche nicht bzw, in der Religion könnte es sein. Wir haben eben eine interpretationsbedürftige Religion, in der wir nichts eins zu eins übernehmen können. Ich persönlich interpretiere es so, dass die Religion so weit ist, aber ich verstehe auch, dass viele das nicht können. Und ich finde es schade, dass es einige nicht tun. Die evangelische Kirche ist eine Institution, die vor Hürden steht, vor denen viele Institutionen stehen, zum Beispiel Mitglieder, die sich gegen Neuerungen stellen.
Naja, wenn man die Privilegien schon hat, ne…
Genau, die haben die Privilegien und sehen nicht, warum Gleichstellung notwenig wäre. Aber ich glaube, dass der christliche Glaube an sich, vor allem in der evangelisch-protestantischen Auslegung, jedenfalls die Möglichkeiten hätte, gleichberechtigend zu sein. Das ist auch der Anspruch, den wir erheben. Das Schöne ist, dass unserer Glaube ja auch mit genau diesem Thema eigentlich anfängt – bei denen, die ausgeschlossen werden.

Für dich geht es also nicht nur um die Gleichstellung von Mann und Frau, sondern es sollte jede Person einen Platz im Glauben finden?
Genau, jede*r sollte die gleichen Möglichkeiten haben. „Gleichstellung” finde ich übrigens einen schwierigen Begriff, aber „Gleichberechtigung” ist etwas Wichtiges und Schönes. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist definitiv ein großes, großes Ziel. Das ist nichts, was man von heute auf morgen erreichen kann, aber man sollte jeden Tag einen Schritt in die richtige Richtung machen.

Ich habe ja immer das Gefühl, dass sich Institutionen gerade bei dem Thema noch gern etwas schneller bewegen könnten.
(lacht) Das auf jeden Fall, ganz so langsam müsste es nicht sein. Schaut man auf das letzte Jahrhundert zurück, ist vieles sehr schnell passiert, aber gerade bei der Gleichberechtigung ist vieles vor 100 Jahre revolutionär neu angestoßen worden und heute sagen immer noch viele, es sei ganz neu.

Zumindest gesellschaftlich ist die Gleichstellung von Mann und Frau ja auch einen großen Schritt rückwärts gegangen in den letzten 100 Jahren, vor allem unter und nach den Nazis. War es genauso in der Kirche?
In der Kirche hat sich das so langsam bewegt, dass sich nichts hätte zurückbewegen können. Wir sind erst jetzt an dem Punkt, an dem die ersten Schritte gewagt werden. Das Problem ist, dass die Kirche mit „Bewegung” schon so 2000 Jahre Vorgeschichte hat und es schon immer langsam voranging.

Die evangelisch-protestantische Bewegung ist doch aber erst aus Bewegung entstanden, oder?
Ja, es gab diverse Bewegungen dieser Richtung, aber da liegen immer so um die 100 Jahre dazwischen, und das war für die Kirche jedesmal schon ein „zügiger Schritt”. Das ist schwierig. Und schade. Das kann man auch schon im Kleinen beobachten. Wenn man einen normalen Antrag durchbringt, braucht das in Institutionen sagen wir mal 5 Jahre – in der Kirche braucht das dann 20.

Aber die Schritte werden trotzdem irgendwann gegangen?
Ja, wenn wir in der protestantischen Kirche auf 450 Jahre keine Frauen auf der Kanzel zurückblicken und jetzt seit 60, 65 Jahren Frauen auf der Kanzel stehen, dann sieht man ganz klar, dass es auch in der Kirche Bewegungen gibt, nur eben sehr langsam. Es gibt viele schon auf Schreibmaschinen, und auch sehr modernen Schreibmaschinen, getippte Protokolle, warum „die Frau” nicht auf die Kanzel gehört. Und wenn ich dann unsere jetzige Situation sehe, dann habe ich doch noch Hoffnung für die „Ehe für alle”, die ja in vielen protestantischen Landeskirchen fast schon normal geworden ist. Und wir sehen auch, dass die Partnerschaften der Pfarrer*innen immer egaler werden. In dem Verhältnis ist das wirklich ein schneller Schritt für die Kirche. Noch nicht schnell genug und für Einzelschicksale auch echt frustrierend, aber es passiert etwas.

Die Gleichstellung der predigenden Menschen verschiedener Geschlechter ist deiner Meinung nach also schon weit. Kennst du auch predigende Menschen, die zum Beispiel PoC (People of Color), schwarz, queer sind oder eine Einschränkung haben?
Ich kenne predigende Menschen in allen möglichen Partnerschaften. PoC ist aber immer so ne Sache, es arbeiten leider weniger in der Kirche, als sich auch die Kirche wünschen würde. Dazu gibt es sehr viele Studien gerade, weil es nicht ganz so offensichtlich ist. Ich glaube, damit hat die Religion selbst am wenigsten Probleme.
Aber es ist so: Die meisten Pfarrer*innen, die wir haben, kommen aus Familien, die schon seit vielen Generationen gläubig sind, oftmals sogar Pfarrfamilien. Viele von diesen können ihre Stammbäume sehr weit zurückverfolgen. Oft kommen solche Pfarrfamilien aus einem Dorf aus der schwäbischen Alp und kennen sich vielleicht sogar schon aus dem Sandkasten, gründen die vorbildliche 3-Kind-Familie und predigen dann eben auch. So ist das zumindest hier in Tübingen. Von vielen Studierenden hier haben auch schon mindestens die Eltern in Tübingen studiert.

So wie bei dir.
Wie bei mir, ja, aber bei mir ist das „nur” eine Generation. Das ist aber auch nicht nur in der Theologie so – auch im Lehramt sind das oft ganze Lehrerinnenfamilien. Das heißt aber eben auch, dass immer dieselben Familien in Baden Württemberg von der Kanzel predigen – und deswegen auch die meisten Pfarrerinnen nicht nur weiß, sondern seit Jahrhunderten hier verwurzelt sind.

Die Kirche ist also eine Art „Familienbetrieb” geworden?
Ja genau das – das ist eine total interessante Beobachtung und passt ja irgendwie auch nicht zu dem Verständnis, das wir heute von der Kirche haben.
Vor allem in katholische Kirche hat einen großen Priestermangel und deshalb kommen dann oft People of Color aus Brasilien oder Tanzania – da gibt es anscheinend einen regen Austausch – und arbeiten dann hier als Priester. Dort gibt es oft einen Überschuss an Priestern und deshalb fragt die Kirche dann dort an, ob sie sich vorstellen könnten, in Deutschland zu arbeiten und womöglich auch zu bleiben.
In der katholischen Kirche gibt es ja aber keine Pfarrfamilien, es ist also immer nur eine Person, die kommt und sich ein Leben in einem kleinen Dorf aufbaut, aber optimalerweise soll man sich ja eine eigene Gemeinde aufbauen. Am Anfang hat man einen Ausbildungspriester und dann die eigene Gemeinde und damit auch sehr viele Sozialkontakte. Das ist ja auch der Gedanke beim Priestertum – dass die Gemeinde deine Familie ist. Das tut vielen Dörfern auch sehr gut. Und gerade in ländlichen Gegenden gibt es ja sehr wenige PoC und manchmal der Pfarrer dann gleich eine wichtige Autoritätsfigur. Das kann auch vielen Vorurteilen und Ressentiments entgegen arbeiten. „Persönlicher Rassismus” – so weit man das sagen kann – fußt ja im Gegensatz zu strukturellem Rassismus oft auch auf Unwissen und keinem Kontakt mit PoCs. Genauso ist es auch mit Queerness im Pfarramt.