Über die Poetin

Annette von Droste-Hülshoff war eine Schriftstellerin. Sie lebte von 1797 bis 1848. Sie wurde auf der Burg Hülshoff bei Münster geboren. Ihre Familie gehörte zum katholisch geprägten Adel. Sie war damit Teil der weißen Mehrheit in der Bevölkerung von Westfalen. Heute ist Annette von Droste-Hülshoff die bekannteste Dichterin in deutscher Sprache für das 19. Jahrhundert.

Droste-Hülshoff schrieb Gedichte, Erzählungen, Aufsätze und Theaterstücke. Die Texte handeln von verschiedenen Themen. Sie schildern Erfahrungen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Sie erzählen Geschichten aus dem Alltag und aus der Vergangenheit. Sie fragen, was die Rolle der Frau in der Welt ist.

Annette von Droste-Hülshoff komponierte auch Musik. Sie übersetzte Texte aus anderen Sprachen ins Deutsche. Sie hatte viele Bekannte und Freunde, die forschten und schrieben. Ihre Briefe mit diesen Menschen bieten uns Einblicke in ihre Lebenswelt.

Droste sitzend und mit ihrem linken Arm erhöht abgelegt. Ihre Hände sind locker ineinander verschränkt. Droste trägt ein blaues Kleid mit einem weißen Stehkragen und Brosche. Drostes Haar ist, für die Zeit des Biedermeier typisch, geflochten und am Hinterkopf hochgesteckt. Der vordere Teil des Haars ist an den Schläfen gelockt. Droste blickt selbstbewusst nach rechts aus dem Bildraum heraus. Oben links in der Ecke ist das Droste-Wappen abgebildet.
Johann Joseph Spricks Porträt der Dichterin © Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung, Foto: Hanna Neander

Zeitgeschichte und Aufwachsen

1797: Annette von Droste-Hülshoff wird geboren. Sie kommt zwei Monate zu früh zur Welt. Das Kind überlebt dank einer Amme: Maria Catharina Plettendorf kümmert sich um die Frühgeburt. Annette von Droste-Hülshoff wird mit verschiedenen Krankheiten und Beeinträchtigungen leben. Ihre zu frühe Geburt ist wahrscheinlich der Grund dafür.

Annette von Droste-Hülshoff ist die zweite Tochter ihrer Eltern, Therese und Clemens August II. von Droste-Hülshoff. Ihre Schwester Jenny ist etwa zwei Jahre älter. Später werden die jüngeren Brüder geboren: Werner Constantin und Ferdinand. Die vier Kinder werden gemeinsam unterrichtet.

Die Zeiten sind unruhig: Die Französische Revolution dauert von 1789 bis 1799. Napoleon besetzt 1806 die Region Westfalen. Die Preußen beherrschen Westfalen ab 1815. Die Revolution kommt 1848 nach Deutschland.

Die Unruhe verändert die Kultur: Viele Bürgerliche ziehen sich zurück. Sie richten sich gemütliche Wohnungen ein. Die Kernfamilie wird wichtiger. Die Männer sind die Hausherren. Die Frauen sticken und spielen Klavier. Diese Mode wird »Biedermeier« genannt. Annette von Droste-Hülshoff will etwas anderes. Sie bleibt unverheiratet und bekommt keine Kinder. Sie weiß, was sie will: Schriftstellerin werden.

Droste-Hülshoff fängt früh an Texte zu schreiben. Ihr erstes Gedicht entsteht, als sie sieben Jahre alt ist. Sie selbst erzählt später, dass sie das Gedicht auf dem Dachboden versteckt hat. Ihr Talent bleibt aber nicht versteckt. Der Onkel Werner von Droste-Hülshoff nennt sie »eine zweyte Sappho«. Sappho war eine griechische Dichterin der Antike und lebte zirka 600 Jahre vor Christus. Es ist ungewöhnlich, dass ein Mädchen damals so gelobt und gefördert wird. Die Erwartung sieht anders aus: Mädchen und Frauen aus adeligen Familien sollen sticken und bei der Krankenpflege helfen. Sie können auch Gedichte schreiben. Eine Frau soll aber Gedichte nicht veröffentlichen.

Handschrift von Droste hinter Glas. Aufgefaltetes Blatt. Die Handschrift füllt millimeterklein in Reihen das gesamte Blatt.
Handschriften von Annette von Droste Hülshoff © Münsterland e.V., Foto: P. Foelting

Ein Schreibzimmer und Veröffentlichungen

1826 stirbt der Vater. Der Bruder Werner Constantin erbt die Burg Hülshoff. Die Frauen der Familie müssen umziehen: Annette von Droste-Hülshoff, die Schwester Jenny und die Mutter Therese. Sie beziehen das Rüschhaus, das zirka sieben Kilometer von der Burg entfernt ist.

Annette von Droste-Hülshoff richtet sich ein eigenes Schreib-Zimmer im Rüschaus ein. Hier kann sie in Ruhe arbeiten. Sie nennt den Raum ihr »Schneckenhäuschen«. Droste-Hülshoff kann nicht vom Schreiben leben. Sie veröffentlicht aber ihre Texte.

1838: Ein erstes Buch mit Gedichten erscheint. Auf dem Cover steht aber nicht Droste-Hülshoffs klarer Name. Sie nimmt auf die Mutter Rücksicht. Sie wählt den Titel: Gedichte von Annette Elisabeth von D…. H….. Viele Menschen wissen, wer sich hinter dem Namen verbirgt. Es ist ein kleiner Skandal.

1842: Die Novelle Die Judenbuche erscheint in 16 Folgen. Der Cotta-Verlag veröffentlich sie in der Zeitschrift Morgenblatt für gebildete Leser. Droste-Hülshoff erzählt von einem Mord, der wirklich passiert ist. Es gibt einen Bericht zu diesem Mordfall. Ihr Onkel August von Haxthausen hat ihn geschrieben. Droste-Hülshoff überträgt die realen Ereignisse in Literatur und verändert sie dabei. Eine Hauptrolle spielt zum Beispiel der Wald. Er ist Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Er ist Rohstoff-Lieferant für die Menschen. Und er wird Schauplatz für den Mord.

1844: Der Cotta Verlag veröffentlicht ein zweites Buch mit Gedichten. Ein Freund hat den Kontakt vermittelt: Levin Schücking. Der Name der Autorin steht vollständig auf dem Cover: Annette Freiin von Droste-Hülshoff. Viele Menschen loben das neue Buch. Zeitungen und Magazine drucken Besprechungen. Sie sagen viel Gutes, aber sie üben auch Kritik. Sie sagen, die Gedichte weichen von den Regeln der Dicht-Kunst ab. Und sie sind schwer zu verstehen.

Kutsche, fotografiert von hinten in der »Alten Tenne« in Haus Rüschhaus. Die Decke der Tenne wird von großen, dicken Holzbalken gestützt, die Wände sind weiß verputzt, an der rechten Seite des Raums sind alte Futtertröge zu sehen. Am Ende des Raums liegt ein großes Tor mit zwei runden Fenstern.
Kutsche der Familie Droste-Hülshoff im Rüschhaus © Münsterland e.V. / Foelting

Netzwerke, Reisen und Krankheit

Annette von Droste-Hülshoff knüpft Netzwerke. Sie ist beruflich und privat mit vielen Menschen bekannt. Ihre Freundinnen sind zum Beispiel die Autorinnen Katharina Schücking, Elise Rüdiger, Amalie Hassenpflug und Adele Schopenhauer oder die Archäologin Sibylle Mertens-Schaffhausen. Auch die Autoren Levin Schücking und Christoph Bernhard Schlüter sind wichtig. Sie helfen Droste-Hülshoff mit Kontakten zu Zeitschriften und Verlagen. Sie nehmen aber auch Einfluss auf die Auswahl von Texten. Auch die Brüder Grimm gehören zum Bekanntenkreis.

Droste-Hülshoff reist häufig. Das ist ungewöhnlich für Frauen damals. Sie besucht in der ersten Lebenshälfte vor allem Ost-Westfalen und das Rheinland. Die zweite Lebenshälfte bringt neue Orte. Ihre Schwester Jenny heiratet 1834 und zieht in die Schweiz, 1838 nach Meersburg am Bodensee. Annette von Droste-Hülshoff besucht sie an beiden Orten. Meersburg wird eine zweite Heimat für sie.

1843: Droste-Hülshoff kauft ein Haus in Meersburg, das Fürstenhäusle. Sie will hier allein leben. Doch es kommt nicht dazu. Annette von Droste-Hülshoff ist zu oft krank. Sie braucht Pflege. Ab 1846 kann sie kaum noch schreiben. Sie verfasst nur einzelne Gedichte. Der Arzt sagt im Frühjahr 1848, Droste ist herzkrank. Es kann lebensbedrohlich sein. Am 24. Mai 1848 verstirbt sie.

Sprossenfenster mit dem eingeritzten Graffitto. Im Hintergrund, also außerhalb liegt die Vorburg mit Bäumen und Büschen.
In Glas eingeritztes Graffitto auf einer Fensterscheibe von Burg Hülshoff, angefertigt von Annette von Droste zu Hülshoff in ihrer Jugend, © Bok und Gärtner, Foto: Roland Borgmann

Themen und Texte

Annette von Droste-Hülshoff gehört mit ihren Texten zum Kanon. Ein Kanon ist eine Zusammenstellung von besonderen Werken. Droste-Hülshoffs bekannteste Texte sind das Gedicht Der Knabe im Moor und die Novelle Die Judenbuche.

Die Natur spielt eine zentrale Rolle in den Texten. Droste-Hülshoff hat ein Gespür für die Natur und ihre Netzwerke. Sie beobachtet Lebe-Wesen und Ereignisse. Und sie informiert sich. Die Natur-Wissenschaften entwickeln sich gerade. Droste-Hülshoff kennt diese neue Forschung zu Pflanzen, zu Gesteinen und zur Landschaft. Sie weiß, wie Mensch und Umwelt sich gegenseitig beeinflussen.

Freiheit ist auch ein wichtiges Thema. Droste-Hülshoff ist sich bewusst: Sie schreibt anders als Männer. Woran liegt das? Sie kämpft für ihre Freiheit zu schreiben und zu veröffentlichen. Diese Freiheit liegt ihr sehr am Herzen. Sie berührt sie stark. Und auch ihre Werke werden dadurch berührend.

Die Briefe teilen Empfindungen und Beobachtungen von Droste mit. Die Gedichte tauchen in Beziehungen und Geschichten ein. Sie bringen Hoffnungen, Gedanken und Ängste zur Sprache. Droste-Hülshoffs Texte ordnen sie auf dem Papier. Das Gedicht Unruhe von 1816 zeigt dies zum Beispiel:

»Fesseln will man uns am eignen Herde!
Unsre Sehnsucht nennt man Wahn und Traum
Und das Herz, das kleine Klümpchen Erde,
Hat doch für die ganze Schöpfung Raum.«

Annette von Droste-Hülshoff, aus Unruhe (1816)

Auch Religion ist für Droste-Hülshoff sehr wichtig. Sie glaubt an Gott, sie zweifelt aber, ob er gerecht ist. Droste blickt nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Sie kennt sich gut mit Geschichte aus. Aus Ereignissen werden Gedichte und Erzählungen. Sie verwandelt Informationen in Literatur.

Sie schreibt zum Beispiel über eine Schlacht im 30-jährigen Krieg. Das Gedicht heißt: Die Schlacht im Loener Bruch. 1623. Droste spielt mit der Geschichte von der Schlacht. Die Sprache erschafft etwas ganz Besonderes. Etwas Eigenes. Droste-Hülshoff hat dieses Talent: Sie kann Menschen und Dinge von außen beschreiben. Sie kann sie aber auch von innen beleuchten. Beides ist gleichzeitig wahr.

Am Ende ihres Lebens erlebt die Dichterin den eigenen Erfolg noch kurz. Fünf Jahre vor ihrem Tod schreibt sie:

»Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden,
aber nach hundert Jahren möcht ich gelesen werden.«

Aus einem Brief von Annette von Droste-Hülshoff an Brief Elise Rüdiger (1843)