Sprache bestimmt, wie wir die Welt wahrnehmen. Sie begegnet uns jeden Tag: in Wort und Schrift. Was wir innerhalb einer Gruppe oder Gesellschaft sagen können, bestimmt ihre Ausrichtung. Das Wort »Remigration« zum Beispiel zeigt:, In Deutschland benutzen Menschen nach langer Zeit wieder offen völkisches Gedankengut und faschistoide Sprache.
1947 erscheint LTI – Notizbuch eines Philologen von Victor Klemperer. Der jüdische Romanist untersucht in diesem Buch die Sprache des Nationalsozialismus.
LTI ist die Abkürzung für »Lingua Tertii Imperii«. Das heißt aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt »Sprache des Dritten Reiches«. Klemperer parodiert mit diesem Kürzel also die Nazis. Denn sie waren besessen von Abkürzungen. Sie kürzten Wörter und Gedanken-Gänge ab. Auf diese Weise machten sie Lügen zu Wahrheiten und die Ermordung von Millionen Menschen zu geltendem Recht.
Klemperers Buch ist ein erschütterndes und doch auch humorvolles Protokoll. Immer wieder schildert er alltägliche Erlebnisse und Beobachtungen. Er schreibt zum Beispiel über Todesanzeigen in Zeitungen und zeigt: Die Diktatur war bis in scheinbare Kleinigkeiten wie schwarze Balken hinein Menschen verachtend. Klemperer zieht auch die großen Linien. Antisemitismus sieht er in Verbindung mit der deutschen Philosophie und Literatur der Romantik. Bei Juden*Jüdinnen beobachtet er: Sie verwenden selber die Sprache der Nazis.
Diese Sprache durchdrang eine gesamte Gesellschaft. Sie wirkt weit über die 12 Jahre der Nazi-Herrschaft hinaus bis heute. Die Texte in LTI weisen daher viele Parallelen zur Gegenwart auf. Denn Faschismus ist kein Phänomen der Vergangenheit. Aktuell müssen wir uns in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt mit dem erstarken nationalistischer und faschistischer Politiken auseinandersetzen. LTI ist in Klemperers Worten ein »Knoten im Taschentuch«. Das Buch lässt uns die Schrecken des deutschen Faschismus erinnern, seine Fortdauer erkennen.
In zehn Treffen lesen wir gemeinsam die 36 Kapitel von LTI sowie Vor- und Nachwort. Jede Session umfasst zirka 30 Seiten (Ausgabe: Reclam, 2010). Eine moderierende Person begleitet jedes Treffen. Sie setzt einen eigenen Fokus auf den jeweiligen Textabschnitt. Ein Close Reading zentraler Textstellen gehört dazu. Die Teilnehmenden bringen darüber hinaus ihre Fragen und Antworten mit und ein.